Wladimir Putins etwa 45-minütige Ansprache auf der 11. Konferenz des Waldai-Klub in Sotschi am 24. Oktober 2014
In dieser Rede ging Putin vor allem auf Fragen der Außenpolitik ein.
Das Thema der Konferenz lautete: „Weltordnung: Neue Regeln oder ein Spiel ohne Regeln?“ (russisch „Мировой порядок: новые правила или игра без правил“, engl. „The World Order: New Rules or No Rules“)
Verehrte Kollegen! Meine Damen und Herren, liebe
Freunde!
Ich freue mich, Sie auf der 11. Konferenz des Diskussionsklubs
“Waldai” zu begrüßen.
Es wurde hier schon gesagt, dass es in diesem
Jahr neue Mit-Organisatoren des Klubs gibt. Darunter sind russische
Nichtregierungsorganisationen und Fachverbände, führende Universitäten.
Außerdem wurde die Idee eingebracht, außer den rein russischen Fragen
auch Fragen der globalen Politik und Wirtschaft zur Besprechung
einzubringen.
Ich rechne damit, dass diese organisatorischen
und inhaltlichen Änderungen die Positionen des Klubs als eine der
einflussreichen Diskussions- und Expertenplattformen festigen werden.
Dazu rechne ich auch damit, dass der sogenannte Geist des Waldai bewahrt
werden kann, und dieser Geist ist die Freiheit, Offenheit, und die
Möglichkeit, verschiedenste und dabei offene Meinungen zu vertreten.
In diesem Zusammenhang möchte ich sagen, dass ich Sie auch nicht enttäuschen werde: ich werde direkt und offen sprechen. Einige Dinge werden Ihnen möglicherweise zu hart erscheinen. Aber wenn wir nicht offen und direkt, ehrlich sagen, was wir wirklich und in Wahrheit denken, dann hat es keinen Sinn, uns in einem solchen Format zusammenzufinden. Dann müsste man sich zu irgendwelchen Diplomatenkreisen versammeln, wo niemand wirklich etwas sagt, und – im Gedenken an die Aussage eines bekannten Diplomaten – kann man nur darauf verweisen, dass Diplomaten eine Zunge haben, um damit nicht die Wahrheit zu sprechen.
Wir versammeln uns hier mit einer anderen
Zielsetzung. Wir versammeln uns, um offen zu sprechen. Eine Direktheit
und Härte der Einschätzungen braucht man heute durchaus nicht dazu, um
miteinander zu zanken, sondern um verstehen zu versuchen, was denn in
Wirklichkeit in der Welt vor sich geht, warum sie immer weniger sicher
und vorhersagbar wird, weshalb an allen Orten die Risiken steigen.
Das Thema des heutigen Treffens, der
Diskussionen, die hier stattfanden, wurde schon benannt: “Neue
Spielregeln oder Spiel ohne Regeln”. Meines Erachtens ist dieses Thema,
diese Formulierung durchaus genau, wenn es darum geht, die historische
Gabelung zu beschreiben, an der wir uns befinden, oder die Wahl, die wir
alle zu treffen haben.
Die These, dass die heutige Welt sich rasant
verändert, ist natürlich nicht neu. Und ich weiß, dass davon im Verlauf
der Diskussion schon gesprochen worden ist. Tatsächlich ist es schwer,
die grundlegenden Veränderungen in der globalen Politik, der Wirtschaft,
dem gesellschaftlichen Leben, im Bereich der industriellen,
Informations- und sozialen Technologien zu ignorieren.
Ich möchte gleich um Entschuldigung bitten, falls
ich etwas wiederhole, was bereits von den Teilnehmern an den
Diskussionen ausgesagt worden ist. Aber das kann man wohl kaum
vermeiden, denn Sie haben ja schon sehr detailliert diskutiert, aber ich
werde einfach meinen Standpunkt darlegen, und in einigen Facetten kann
dieser mit den Meinungen der Diskussionsteilnehmer zusammenfallen, in
anderen Dingen wird er sich unterscheiden.
Vergessen wir bei der Analyse des heutigen
Zustands nicht die Lektionen der Geschichte. Erstens werden
Veränderungen der Weltordnung (und mit einem Ereignis genau solcher
Tragweite haben wir es heute zu tun) in der Regeln wenn nicht von einem
globalen Krieg, von globalen Zusammenstößen, so doch von einer Kette an
intensiven Konflikten auf regionaler Ebene begleitet. Und zweitens geht
es in der Weltpolitik vor allem um wirtschaftliche Führung, Fragen von
Krieg und Frieden, die humanitären Bereiche einschließlich der
Menschenrechte.
Es hat sich weltweit eine Menge an Widersprüchen
angesammelt. Und man muss einander offen fragen, ob wir denn über ein
verlässliches Sicherheitsnetz verfügen. Leider gibt es keinerlei
Garantien dafür, dass das bestehende System der globalen und regionalen
Sicherheit dazu in der Lage wäre, uns vor Erschütterungen zu bewahren.
Dieses System ist ernsthaft geschwächt, gebrochen und deformiert worden.
Eine schwierige Zeit durchleben internationale und regionale
Institutionen der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen
Zusammenarbeit.
Sicher, viele der Mechanismen, die der
Weltordnung zugrunde liegen, sind vor schon ziemlich langer Zeit
entstanden, einschließlich – und vor allem – als Resultat des Zweiten
Weltkriegs. Die Stabilität dieses Systems gründete übrigens nicht nur
auf einer Kräftebalance, und das möchte ich auch unterstreichen, nicht
nur auf dem Recht der Sieger, sondern auch darauf, dass die
“Gründerväter” dieses Sicherheitssystems einander in Achtung begegneten,
und nicht versucht haben, sich alles einzuverleiben, sondern
miteinander geredet haben.
Das Wichtigste aber ist, dass dieses System sich
weiterentwickelte und bei allen Abstrichen dabei behilflich war, die
auftretenden Probleme der Welt wenn nicht zu lösen, so doch im Rahmen zu
halten und die natürliche Konkurrenz der Staaten untereinander zu
entschärfen.
Ich bin davon überzeugt, dass dieser Mechanismus
der gegenseitigen Kontrolle und der Gegengewichte, der in den
vergangenen Jahrzehnten teils mühevoll aufgebaut werden konnte, nicht
zerstört werden durfte, jedenfalls hätte man nichts zerstören dürfen,
ohne an dessen Stelle etwas Neues aufzubauen, denn sonst gibt es
tatsächlich keine anderen Mittel mehr als die rohe Gewalt. Es wäre
angebracht, eine vernünftige Rekonstruktion zu unternehmen, das System
der internationalen Beziehungen an die neuen Realitäten anzupassen.
Allerdings haben die Vereinigten Staaten, die
sich zu den Siegern des Kalten Kriegs erklärt haben, wie ich meine
selbstsicher angenommen, dass daran einfach kein Bedarf besteht. Und
anstelle der Einrichtung einer neuen Balance der Kräfte, die eine
unabdingbare Voraussetzung für Ordnung und Sicherheit ist, wurden ganz
im Gegenteil Schritte unternommen, die zu einer enormen Vertiefung des
Ungleichgewichts führten.
Der “Kalte Krieg” ist beendet. Aber er ist nicht
mit einem “Friedens”abkommen und mit verständlichen, transparenten
Verhandlungsergebnissen über die Achtung der bestehenden oder die
Schaffung neuer Regeln und Standards beendet worden. Es ergibt sich der
Eindruck, dass die sogenannten “Sieger” im Kalten Krieg daran gingen,
die Situation bis zum Ende auszupressen und die ganze Welt nach ihrem
Gusto, nach ihren Interessen umzuformatieren. Und wo das bestehende
System der internationalen Beziehungen, des internationalen Rechts und
das System der gegenseitigen Kontrolle und Gegengewichte diesem Ziel im
Weg stand, dort wurde dieses System sofort als nutzlos, veraltet und
abschaffungsreif deklariert.
So benehmen sich aber – ich bitte um Verzeihung –
Neureiche, die urplötzlich zu großem Reichtum gekommen sind; in unserem
Fall in Form der Weltvorherrschaft, der weltweiten Führungsrolle. Und
anstelle dessen, dass sie diesen Reichtum intelligent und vorsichtig,
und selbstverständlich auch zum eigenen Nutzen, einsetzen, haben sie,
wie ich meine, eine ganze Menge zu Bruch gehen lassen.
Das Zeitalter der Doppellesarten und des Verschweigens hat in der Weltpolitik begonnen. Unter dem Druck eines Rechtsnihilismus hat das internationale Recht Schritt für Schritt seine Vorherrschaft zurückgefahren. Objektivität und Gerechtigkeit wurden der politischen Zweckmäßigkeit geopfert. Rechtliche Normen wurden durch willkürliche Interpretationen und befangene Urteile ersetzt. Dabei gestattete es die totale Kontrolle über die globalen Massenmedien auf Wunsch Weiß für Schwarz, und Schwarz für Weiß auszugeben.
Unter den Bedingungen der Dominanz einer Seite
und ihrer Alliierten, oder anders gesagt, ihrer Satelliten, geriet die
Suche nach globalen Lösungen oftmals zu einem Streben, die eigenen
Lösungen als universell auszugeben. Die Ambitionen dieser Gruppe haben
sich derart gesteigert, dass die in ihren Kreisen herausgearbeiteten
Herangehensweisen als Meinung der gesamten Weltöffentlichkeit
präsentiert wurden. Aber das ist nicht so.
Allein der Begriff “nationale Souveränität” ist
für den Großteil der Staaten zu einer relativen Größe geworden. Im
Grunde wurde die folgende Formel angeboten: je ausgeprägter die
Loyalität zum einzigen Machtzentrum der Welt, desto höher die
Legitimität der einen oder anderen Regierung.
Wir werden dann mit Ihnen in eine offene
Diskussion eintreten, und ich werde sehr gern Fragen beantworten und es
auch mir gestatten, Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Aber im Verlauf
dieser Diskussion kann ja jemand von Ihnen einmal versuchen, diese
gerade von mir formulierte These zu widerlegen.
Die Mittel, mit denen man auf die Widerspenstigen
einwirkte, sind gut bekannt und vielfach erprobt: das sind militärische
Maßnahmen, wirtschaftlicher und propagandistischer Druck, Einmischung
in die inneren Angelegenheiten, Anrufung einer gewissen, “über dem
Recht” stehenden Legitimität, wenn es darum geht, eine widerrechtliche
Beilegung dieser oder jener Konflikte herbeizuführen, und die
Beseitigung missliebiger Regierungen. In letzter Zeit gibt es Zeugnisse
dafür, dass man gegen eine Reihe von Staatsoberhäuptern unverhohlene
Erpressung eingesetzt hat. Es ist nicht von ungefähr, dass der
sogenannte Big Brother Milliarden von Dollar dafür ausgibt, der ganzen
Welt nachzustellen, und auch seine nächsten Verbündeten sind dabei
Ziele.
Lassen Sie uns die Frage aufwerfen, inwieweit es
für uns annehmbar, sicher und angenehm ist, in einer solchen Welt zu
leben, inwieweit eine solche Welt gerecht und vernünftig ist. Vielleicht
haben wir gar keinen triftigen Grund, besorgt zu sein, zu streiten und
unangenehme Fragen zu stellen? Vielleicht ist die Einzigartigkeit der
Vereinigten Staaten, die Art, auf die sie ihre Führungsrolle ausüben,
etwas für alle wirklich Gutes, und ihre allgegenwärtige Einmischung in
alle Angelegenheiten dieser Welt bringt in Wirklichkeit Ruhe,
Wohlergehen, Fortschritt, Gedeihen und Demokratie – und wir sollten uns
einfach entspannen und es genießen?
Ich erlaube mir zu sagen, dass es sich nicht so verhält. Es ist ganz und gar nicht so.
Das einseitige Diktat und das Aufzwingen der
eigenen Schemata führt zu einem ganz gegenteiligen Resultat: anstelle
einer Beilegung von Konflikten deren Eskalation; anstelle von
souveränen, stabilen Staaten einen wachsenden Bereich des Chaos;
anstelle von Demokratie die Unterstützung von höchst zweifelhaften
Strömungen – von offenkundigen Neonazis bis hin zu islamistischen
Radikalen.
Und aus welchem Grunde werden sie unterstützt?
Weil sie im Verlauf einer Etappe auf dem Weg zum Erreichen eines Ziels
ausgenutzt werden, dann verbrennen sie sich daran – und es wird
zurückgerudert. Ich werde nicht müde mich dessen zu wundern, wie unsere
Partner Mal ums Mal, wie man bei uns in Russland zu sagen pflegt, auf
ein und dieselbe Harke treten, das heißt, immer wieder dieselben Fehler
begehen.
Seinerzeit sponserten sie extremistische
islamische Bewegungen für den Kampf gegen die Sowjetunion, und in
Afghanistan haben diese ihre Abhärtung bekommen. Daraus entstanden
sowohl die “Taliban” als auch die “Al-Kaida”. Der Westen hat diese wenn
schon nicht unterstützt, so doch mindestens seine Augen davor
verschlossen, und ich würde sagen, er hat den Einfall internationaler
Terroristen nach Russland und in die Länder Zentralasiens tatkräftig
informationsmäßig, politisch, finanziell unterstützt; das haben wir
nicht vergessen. Erst, nachdem es schreckliche Terrorangriffe auf dem
Territorium der Vereinigten Staaten selbst gegeben hat, kam das
Verständnis für die allgemeine Bedrohung, die der Terrorismus darstellt.
Ich möchte daran erinnern, dass wir damals die ersten waren, die das
Volk der Vereinigten Staaten unterstützt haben, wir reagierten wie
Freunde und Partner auf die schreckliche Tragödie des 11. September.
Im Verlauf der Gespräche mit Führungskräften der
USA und Europas spreche ich ständig von der Notwendigkeit, gemeinsam
gegen den Terrorismus als einer Herausforderung von weltweiter Bedeutung
vorzugehen. Mit dieser Herausforderung kann man sich nicht abfinden,
man kann sie nicht eingrenzen, oder Doppelstandards zur Anwendung
bringen. Man erklärte sich mit uns einverstanden, aber es verging nicht
viel Zeit, und alles kehrte wieder zum Alten zurück. Es folgte die
Einmischung sowohl im Irak, als auch in Libyen, und dieses Land wurde
dann an die Grenze des Zerfalls gebracht. Warum hat man es denn
eigentlich dahin gebracht? Es steht auch jetzt noch an diesem Abgrund
und ist ein Übungsplatz für Terroristen geworden. Allein der Wille und
die Umsicht der jetzigen ägyptischen Führung haben es gestattet, Chaos
und extremistische Exzesse in diesem Schlüsselland der arabischen Welt
zu vermeiden. In Syrien gingen die Vereinigten Staaten und ihre
Verbündeten wie in guten alten Zeiten daran, Terrorbrigaden direkt mit
Finanzen und Waffen zu versorgen, die Aufstockung ihrer Mannkraft durch
Söldner aus verschiedenen Ländern zu begünstigen. Gestatten Sie die
Frage, woher haben die Rebellen Geld, Waffen, Militärexperten? Woher
kommt denn all das? Wie ist es zu erklären, dass diese berüchtigte,
sogenannte ISIS, zu einer gewaltigen, de facto Armeegruppierung werden
konnte?
Was deren finanzielle Zuströme angeht, so sind
das zum heutigen Tag nicht nur Einkünfte aus dem Drogengeschäft, deren
Produktion übrigens im Verlauf der Stationierung der internationalen
Kräfte in Afghanistan nicht nur um ein paar Prozent, sondern vielfach
gestiegen ist – das wissen Sie alle -, sondern diese Finanzen
resultieren auch aus dem Verkauf von Erdöl, das in Gebieten, die von den
Terroristen kontrolliert werden, gefördert wird. Sie verkaufen es zum
Spottpreis, sie fördern und transportieren es ungehindert. Aber es gibt
ja solche, die es kaufen, weiterverkaufen und daran verdienen, ohne
darüber nachzudenken, dass sie damit Terroristen finanziert, die früher
oder später auch auf ihr Gebiet kommen werden, und sie werden kommen, um
die Saat des Todes in ihren Ländern auszusäen.
Und woher kommen neue Rekruten? Im Irak sind
infolge des Sturzes Saddam Husseins staatliche Institutionen,
einschließlich der Armee, zerstört worden. Wir haben es damals noch
gesagt: seid vorsichtig, wohin habt ihr diese Leute vertrieben? Auf die
Straße! Und was sollen sie dort machen? Vergesst nicht, ob er gerecht
oder ungerecht war, aber sie saßen an den Hebeln eines nach regionalem
Maßstab durchaus großen Staates – und wohin treibt ihr sie?
Was haben wir als Ergebnis? Zehntausende Soldaten
und Offiziere, ehemalige Baath-Parteiaktivisten, die auf die Straße
gesetzt worden sind, und sie sind es, die heute die Einheiten der
Rebellenbanden anfüllen. Vielleicht ist es ja das, worin das Geheimnis
der Operationsfähigkeit der ISIS besteht? Sie handeln vom militärischen
Gesichtspunkt aus sehr effektiv, wir haben es mit wirklichen Profis zu
tun.
Russland hat mehrfach vor einseitigen gewaltsamen
Aktionen, vor Einmischungen in die Angelegenheiten souveräner Staaten,
vor dem Anbandeln mit Extremisten und Radikalen gewarnt und darauf
bestanden, dass man jene Gruppierungen, die gegen die syrische
Zentralregierung vorgehen – vor allem die ISIS – auf die Listen
terroristischer Organisationen setzt. Und was war das Ergebnis? Es gab
keine Reaktion.
Mitunter bekommt man den Eindruck, dass unsere
Kollegen und Freunde ständig mit den Ergebnissen ihrer eigenen Politik
kämpfen, all ihre Gewalt in die Beseitigung der Risiken stecken, die sie
selbst schaffen, und dafür einen immer höheren Preis zahlen.
Verehrte Kollegen! Der Moment der Unipolarität
hat überzeugend aufgezeigt, dass die Erweiterung der Dominanz eines
Gewaltmonopols nicht dazu führt, dass die globalen Prozesse steuerbarer
werden. Im Gegenteil, eine solche instabile Konstruktion hat ihre
Unfähigkeit bewiesen, effektiv gegen solche realen Bedrohungen wie
regionale Konflikte, Terrorismus, Drogenschmuggel, religiöser
Fanatismus, Chauvinismus und Neonazismus vorzugehen. Gleichzeitig hat
sie der Äußerung von nationalem Eitelkeitswahn, der Manipulation der
öffentlichen Meinung, grober Unterdrückung des Willens der Schwachen
durch den Willen der Starken den Weg geebnet. Im Grunde ist eine
unipolare Welt eine Apologie, sie ist die Apologetik einer Diktatur über
den Menschen und Ländern. Diese unipolare Welt erwies sich übrigens als
für den sogenannten, selbsternannten Führer unbequem, nicht zu stemmen
und schwer zu steuern, gerade jetzt war das verlautet, und damit bin ich
vollkommen einverstanden. Daher rühren die heutigen Versuche, nun schon
im neuen historischen Abschnitt, eine Art quasi-bipolares System als
ein bequemes Modell für die Wiedererrichtung der – in diesem Fall –
amerikanischen Dominanz zu etablieren. Es ist dabei nicht einmal
wichtig, wer genau in der amerikanischen Propaganda die Rolle des
“Zentrums des Bösen”, also den Platz der UdSSR als Hauptgegner einnimmt:
ob der Iran, als ein Land, das nach Atomtechnologie strebt, oder China,
als führende Weltwirtschaft, oder Russland, als eine Atom-Supermacht.
Wir sehen jetzt wieder Versuche, die Welt zu
zerschlagen, Trennlinien zu ziehen, Koalitionen nicht für, sondern gegen
beliebige Parteien zu bilden, und abermals ein Feindbild zu schaffen
wie in Zeiten des “Kalten Krieges”. und damit das Recht auf die
Führungsrolle, oder wenn Sie so wollen, das Diktat zu erlangen. Wir
verstehen und wissen ja bereits, wie die Lage im Zeitalter des “Kalten
Krieges” interpretiert wurde. Den Verbündeten der Vereinigten Staaten
wurde immer gesagt: “Wir haben einen gemeinsamen Feind, er ist
schrecklich, es ist das Zentrum des Bösen; wir werden euch, unsere
Verbündeten, vor ihm schützen, folglich haben wir das Recht, euch zu
befehlen, eure politischen und wirtschaftlichen Interessen zu opfern,
Ausgaben für die kollektive Verteidigung zu machen, aber befehligen
werden diese Verteidigung natürlich wir”. Kurz, heute gibt es das
Bestreben, nun schon in der neuen, veränderten Welt die gewohnten
Prinzipien einer globalen Beherrschung umzusetzen, und all das mit der
Absicht, die eigene Außerordentlichkeit zu gewährleisten und daraus
politisches und wirtschaftliches Kapital zu schlagen.
Dabei divergieren solche Versuche nicht nur mehr
und mehr mit der Realität und widersprechen der Vielfältigkeit der Welt.
Solche Schritte werden unvermeidlich zu Gegenreaktionen führen und
einen gerade entgegengesetzten Effekt hervorbringen. Wir sehen doch, was
passiert, wenn die Politik leichtfertig mit der Wirtschaft vermengt
wird, wenn die Logik der Zweckmäßigkeit der Logik der Konfrontation
nachgibt, selbst, wenn sie damit ihre eigenen wirtschaftlichen und
politischen Positionen und Interessen aufgibt, einschließlich der
Interessen der nationalen Unternehmen.
Gemeinsame Wirtschaftsprojekte, gegenseitige
Investitionen sind es, die Länder objektiv näherbringen, dabei helfen,
die laufenden Probleme in den internationalen Beziehungen abzumildern.
Allerdings ist die weltweite Business-Community heute dem beispiellosen
Druck der westlichen Regierungen ausgesetzt. Von welchem Unternehmertum,
von welcher wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit oder Pragmatismus kann denn
die Rede sein, wenn das Motto “Das Vaterland ist in Gefahr, die freie
Welt ist in Gefahr, die Demokratie ist in Gefahr” aufgeworfen wird? Man
muss sich ja mobilisieren – und genau das ist die Politik des
Mobilmachens.
Die Sanktionen unterminieren bereits die
Grundlagen des Welthandels und die Regeln der WTO, das Prinzip der
Stabilität des Privatvermögens, sie erschüttern das liberale Modell der
Globalisierung, welches auf dem Markt, der Freiheit und der Konkurrenz
beruht – ein Modell, dessen hauptsächliche Nutznießer, wie ich anmerken
möchte, ja gerade die Länder des Westens sind. Jetzt riskieren sie
Vertrauensverlust in ihrer Rolle als treibende Kräfte der
Globalisierung. Man fragt, was denn nun zu tun sei? Denn das Wohlergehen
beispielsweise der Vereinigten Staaten ist ja in weiten Teilen vom
Vertrauen der Investoren dem der ausländischen Besitzer von Dollars und
US-amerikanischer Wertpapiere abhängig. Und dieses Vertrauen wird
offenkundig unterminiert; die Früchte der Enttäuschung von der
Globalisierung findet man jetzt in vielen Ländern.
Der berüchtigte Präzedenzfall Zypern und
politisch motivierte Sanktionen haben die Tendenzen in Richtung
wirtschaftlicher und finanzieller Souveränisierung, zum Bestreben
einzelner Staaten oder ihrer regionalen Vereinigungen, sich gegen das
Risiko auswärtigen Drucks abzusichern, nur verstärkt So unternimmt
bereits jetzt eine immer größer werdende Zahl an Staaten Versuche, sich
aus der Dollarabhängigkeit zu befreien, alternative Finanzzentren und
Reservewährungen zu etablieren. Unserer Meinung nach sägen unsere
amerikanischen Freunde schlicht an dem Ast, auf dem sie sitzen. Man darf
Politik und Wirtschaft nicht in einen Topf werfen, aber genau das ist
es, was passiert. Ich war und bin der Meinung, dass politisch motivierte
Sanktionen ein Fehler waren, ein Fehler, der allen nur Verluste bringt,
und ich bin mir sicher, dass wir davon noch zu sprechen haben.
Wir verstehen schon, wie und unter wessen Druck
solche Entscheidungen getroffen wurden. Ich möchte betonen, dass
Russland nicht die Pose eines Beleidigten annehmen oder jemanden um
etwas bitten wird. Russland ist ein sich selbst genügendes Land. Wir
werden unter den außenwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten, die sich
ergeben haben, unsere Produktion und Technologien weiterentwickeln,
entschiedener bei Umgestaltungen vorgehen, und der äußere Druck wird,
wie das schon öfter der Fall war, unsere Gesellschaft nur konsolidieren,
uns keine Gelegenheit geben, uns zurückzulehnen, ich würde sagen – er
zwingt uns dazu, uns auf unseren wichtigsten Entwicklungsrichtungen zu
konzentrieren.
Sicherlich stören uns die Sanktionen, mit diesen
Sanktionen möchte man uns schädigen, unsere Entwicklung hemmen, uns in
eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Isolation drängen –
anders gesagt in die Zurückgebliebenheit. Doch ich möchte unterstreichen
– das habe ich bereits gesagt und wiederhole es -, dass die Welt sich
von Grund auf geändert hat. Wir haben es nicht vor, uns vor der Welt zu
verschließen und uns für irgendeinen geschlossenen Entwicklungsweg,
einen Weg der Autarkie zu entscheiden; wir sind immer dialogbereit,
darunter auch zu Fragen der Normalisierung von Wirtschaftsbeziehungen,
und ebenso auch der politischen Beziehungen. Wir rechnen hier mit einer
pragmatischen Herangehensweise und pragmatischen Standpunkten der
Businesskreise der führenden Länder der Welt.
Heute erklingen Behauptungen, Russland würde sich
angeblich von Europa abwenden – wahrscheinlich ist das in den
Diskussionen hier bereits angeklungen – Russland würde sich angeblich
nach anderen Geschäftspartnern umsehen, vor allem solchen in Asien. Ich
möchte sagen, dass das in keiner Weise stimmt. Unsere aktive Politik in
der Asiatisch-Pazifischen Region gibt es nicht erst seit heute, sie hat
nicht erst mit den Sanktionen begonnen, sondern bereits vor mehr als nur
ein paar Jahren. Wir sind genau wie viele andere, darunter westliche
Länder davon ausgegangen, dass der Osten einen immer bedeutenderen
Stellenplatz in der Welt einnimmt, was die Wirtschaft und die Politik
angeht, und man muss das natürlich berücksichtigen.
Ich möchte nochmals unterstreichen: alle tun das,
und auch wir werden das tun, zumal ein bedeutender Teil unseres
Staatsgebiets in Asien gelegen ist. Warum sollten wir auch darauf
verzichten, unsere diesbezüglichen Vorteile zu nutzen? Das wäre doch
einfach kurzsichtig.
Der Aufbau von Wirtschaftbeziehungen mit diesen
Staaten, gemeinsame Integrationsprojekte sind ein wichtiger Stimulus für
unsere eigene, innere Entwicklung. Die heutigen demographischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Tendenzen zeugen davon, dass die
Abhängigkeit von einer Supermacht natürlich ganz objektiv abnehmen wird,
und davon reden und schreiben europäische und amerikanische Fachleute
selbst.
Vielleicht erwarten uns in der Weltpolitik die
gleichen Phänomene, wie in der globalen Wirtschaft, und das ist eine
intensive Konkurrenz in der einen oder anderen konkreten Nische, ein
häufiger Wechsel von Führungskräften in bestimmten Richtungen. All das
ist möglich.
Es steht außer Frage, dass im globalen Wettbewerb
die Rolle von humanitären Faktoren steigen wird: das sind Bildung,
Wissenschaften, Gesundheit, Kultur. Das wird seinerseits Auswirkungen
auf die internationalen Beziehungen haben, auch deshalb, weil die
Ressource der sogenannten sanften Gewalt größtenteils von realen
Errungenschaften bei der Bildung von Humankapital abhängt, mehr, als von
der Gerissenheit propagandistischer Kunstgriffe.
Gleichzeitig stellt die Heranbildung einer
sogenannten polyzentrischen Welt – und darauf möchte ich, verehrte
Kollegen, auch Ihre Aufmerksamkeit lenken – nicht von sich aus höhere
Stabilität dar, eher sogar umgekehrt. Die Aufgabe bei der Heranbildung
eines globalen Gleichgewichts bereitet einiges Kopfzerbrechen, ist eine
Gleichung mit vielen Unbekannten.
Was erwartet uns, wenn wir es vorziehen, nicht
den Regeln gemäß zu leben, seien diese Regeln auch noch so streng und
unbequem, sondern ganz ohne Regeln? Ein solches Szenario ist durchaus
greifbar, man kann es nicht ausschließen, wenn man die aufgeheizte Lage
in der Welt berücksichtigt. Bewertet man die heutigen Tendenzen, dann
kann man schon eine Reihe an Prognosen abgeben, und leider sind diese
nicht optimistisch. Wenn wir daran scheitern, ein fest umrissenes System
gegenseitiger Verpflichtungen und Vereinbarungen zu schaffen, keine
Mechanismen aufbauen, die Krisensituationen aufzulösen helfen, dann
werden die Anzeichen einer weltweiten Anarchie sich nur verstärken.
Bereits heute ist die Wahrscheinlichkeit einer
ganzen Reihe an verschärften Konflikten mit wenn nicht direkter, so doch
mittelbarer Beteiligung von Großmächten enorm angestiegen. Dabei sind
nicht nur die traditionellen Widersprüche von Staaten untereinander,
sondern auch die innere Instabilität einzelner Staaten ein Risikofaktor,
besonders, wenn es um solche Länder geht, die an den Nahtstellen
geopolitischer Interessenssphären von Großmächten oder entlang von
kulturhistorischen und wirtschaftlichen Grenzen zivilisatorischer
“Kontinente” liegen.
Die Ukraine, von der hier sicher bereits viel die
Rede war und auch noch die Rede sein wird, ist ein Beispiel für diese
Art von Konflikten, die Auswirkung auf das weltweite Kräfteverhältnis
haben – und dabei denke ich, dass dies bei weitem noch nicht der letzte
dieser Art ist. Hieraus folgt die greifbare Perspektive der Zerstörung
des bisherigen Systems der Vereinbarungen über die Begrenzung und
Kontrolle der Arten von Bewaffnung. Den Beginn dieses gefährlichen
Prozess legten zweifelsohne die Vereinigten Staaten von Amerika, als sie
im Jahre 2002 einseitig aus dem ABM-Vertrag zurücktraten, und darauf
daran gingen und es heute noch aktiv betreiben, ihr eigenes globales
Raketenabwehrsystem aufzubauen.
Verehrte Kollegen und Freunde! Ich möchte Ihre
Aufmerksamkeit darauf lenken, dass nicht wir mit diesem Prozess
angefangen haben. Wir verfallen erneut in jene Zeit, als nicht ein
Gleichgewicht von Interessen und gegenseitiger Garantien, sondern die
Angst, ein Gleichgewicht der potentiellen gegenseitigen Vernichtung die
Länder von direkten Konfrontationen abhält. Aufgrund des Fehlens von
rechtlichen und politischen Instrumenten kehren die Waffen zentral auf
die globale Tagesordnung zurück, sie werden überall und auf jede
erdenkliche Weise eingesetzt, auch ohne Resolutionen des
UN-Sicherheitsrats. Wenn jedoch der Sicherheitsrat es ablehnt, diese Art
von Entscheidungen mit zu produzieren, dann wird er sogleich als
veraltet und zu einem ineffizienten Instrument erklärt.
Viele Staaten sehen keine andere Garantie für die
Gewährleistung der eigenen Souveränität mehr, als die Anschaffung einer
eigenen “Bombe”. Das ist höchst gefährlich. Wir bestehen auf einer
Fortführung der Gespräche, wir befürworten nicht einfach nur Gespräche,
sondern wir bestehen auf einer Fortführung der Gespräche zur atomaren
Abrüstung. Je weniger Atomwaffen es auf der Welt gibt, desto besser. Wir
sind zu ernsthaften und gegenständlichen Gesprächen in Fragen der
atomaren Abrüstung bereit, aber diese sollten schon wirklich ernsthaft
sein – wie man sagt, ohne Doppelstandards.
Was meine ich damit? Heute sind viele Arten von
Präzisionswaffen in ihren Möglichkeiten schon sehr nahe an
Massenvernichtungswaffen gerückt, und im Falle eines vollständigen
Verzichts auf das Atompotential oder im Falle einer bedeutenden
Reduzierung der Arsenale werden die Länder, welche in der Schaffund und
der Herstellung von Präzisionssystemen führend sind, offenkundig einen
militärischen Vorteil erlangen. Die strategische Parität würde
gebrochen, und das bringt Destabilisierung mit sich. Es kommt zur
Versuchung, den sogenannten ersten globalen Entwaffnungsschlag zu
führen. Kurz, die Risiken werden nicht geringer, sondern größer.
Die nächste offensichtliche Bedrohung ist eine
Ausweitung von Konflikten auf ethnischer, religiöser und sozialer
Grundlage. Solche Konflikte sind nicht nur an sich gefährlich, sondern
sie bilden um sich herum Zonen von Anarchie, Gesetzlosigkeit und Chaos,
wo sich sowohl Terroristen, als auch herkömmliche Verbrecher wie zu
Hause fühlen, wo die Piraterie, der Menschenhandel und das
Drogengeschäft blühen.
Übrigens haben unsere Kollegen seinerzeit
versucht, diese Prozesse irgendwie zu steuern, sich regionale Konflikte
zunutze zu machen, “farbige Revolutionen” in ihrem Interesse zu
konstruieren, aber der Geist entwich der Flasche. Was man nun mit ihm
macht, verstehen, so scheint es, die Autoren der Theorie des gelenkten
Chaos selbst nicht. In ihren Reihen herrschen Zwiespalt und Uneinigkeit.
Wir beobachten die Diskussionen sowohl bei den
herrschenden Eliten, als auch in Fachkreisen genauestens. Es genügt,
sich die Überschriften in der westlichen Presse im Verlauf des
vergangenen Jahrs anzusehen: ein und dieselben Leute werden einmal
Kämpfer für Demokratie, und später Islamisten genannt, erst schreibt man
von Revolutionen, dann von Pogromen und Umstürzen. Das Ergebnis liegt
auf der Hand: es ist die Ausweitung des globalen Chaos.
Verehrte Kollegen! In einer solchen Lage in der
Welt wäre es an der Zeit, sich zu grundsätzlichen Fragen zu einigen. Das
ist außerordentlich wichtig und notwendig, und weit besser, als sich in
verschiedene Ecken zu begeben, zumal wir es mit gemeinsamen Problemen
zu tun haben, und, wie man sagt, in einem Boot sitzen. Der logische Weg
wäre der einer Kooperation von Ländern und Gesellschaften und die Suche
nach gemeinsamen Antworten auf vermehrt auftretende Fragen, ein
gemeinsames Risikomanagement. Leider ist es so, dass einige unserer
Partner sich erst dann daran erinnern, wenn das in ihrem Interesse
liegt.
Die praktische Erfahrung zeigt, dass gemeinsame
Antworten auf Herausforderungen erstens nicht immer ein Allheilmittel
sind, das muss man natürlich anerkennen, und zweitens sind sie in der
Mehrzahl der Fälle auch schwer zu erreichen, denn es ist viel zu
schwierig, die Differenzen zwischen den jeweiligen nationalen
Interessen, bei subjektiven Herangehensweisen zu überwinden, besonders,
wenn es um Länder geht, die verschiedenen kulturhistorischen Traditionen
angehören. Trotz alledem haben wir Beispiele dafür, wie man, sofern man
sich von gemeinsamen Zielen leiten lässt und auf der Grundlage von
einheitlichen Kriterien arbeitet, gemeinsam greifbare Ergebnisse
erzielt.
Ich möchte an die Lösung des Problems mit den
syrischen Chemiewaffen erinnern, ebenso an den sachlichen Dialog zum
iranischen Atomprogramm, und selbst unsere Arbeit mit Nordkorea hat auch
einige positive Resultate. Warum sollten wir nicht diese ganzen
Erfahrungen auch im weiteren Verlauf bei der Lösung sowohl lokaler, wie
auch globaler Probleme nutzen?
Was kann die rechtliche, politische,
wirtschaftliche Grundlage einer neuen Weltordnung werden, welche
Stabilität und Sicherheit gewährleisten würde, dabei eine gesunde
Konkurrenz fördert und die Bildung von Monopolen verhindert, die der
Entwicklung entgegenstehen? Schwerlich könnte darauf jemand jetzt ein
umfassendes, fertiges Rezept liefern. Hier braucht es einer langen
Arbeit unter der Beteiligung eines weiten Kreises an Staaten, der
Weltwirtschaft, der bürgerlichen Gesellschaften oder solcher Fachforen,
wie es das unsrige eines ist.
Allerdings ist es offensichtlich, dass ein
Erfolg, ein greifbares Resultat erst dann möglich werden, wenn die
Schlüsselfiguren des internationalen Lebens sich zu Basisfragen einigen
können, zu einer vernünftigen Selbstbeschränkung, und zu einem Beispiel
für eine positive, verantwortliche Führungsrolle werden. Es gilt, genau
zu bestimmen, wo die Grenzen einseitiger Handlungen liegen und wo es
mehrseitiger Mechanismen bedarf, und im Rahmen der Vervollkommnung des
internationalen Rechts müssen wir das Dilemma zwischen den Handlungen
der Weltgemeinschaft zur Gewährleistung von Menschenrechten und der
nationalen Souveränität, der Nichteinmischung in die inneren
Angelegenheiten von Staaten auflösen.
Gerade solche Kollisionen sind es, die immer
häufiger zu willkürlicher auswärtiger Intervention in komplizierte
innere Prozesse führen, Mal ums Mal gefährliche Widersprüche zwischen
den führenden Playern der Welt provozieren. Die Frage nach der Erhaltung
von Souveränität wird geradezu zur wichtigsten Frage der Erhaltung und
Festigung der weltweiten Stabilität.
Es ist dabei klar, dass die Diskussion über
Gewaltanwendung von außen an sich schon höchst schwierig ist, es ist
nahezu unmöglich, sie vom jeweiligen Interesse des einen oder anderen
Landes zu trennen. Allerdings ist es weit gefährlicher, wenn es an für
alle verständlichen Vereinbarungen, an exakt bestimmten Bedingungen
fehlt, unter denen eine Einmischung notwendig und rechtmäßig wäre.
Ich möchte hinzufügen, dass die internationalen
Beziehungen auf dem internationalen Recht beruhen müssen, in dessen
Grundlage auch solche moralischen Prinzipien herrschen wie
Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Wahrheit. Wahrscheinlich ist eine
Achtung des Partners und seiner Interessen dabei das Wichtigste. Das ist
eine sich aufdrängende Formel, aber hielte man sich ganz einfach an
sie, so wäre das dazu imstande, die Lage in der Welt von grundauf zu
ändern.
Ich bin davon überzeugt, dass – gebe es nur einen
Willen dazu – wir in der Lage sind, die Effizienz internationaler und
regionaler Institutionen wiederherzustellen. Hier ist es nicht einmal
notwendig, etwas komplett neu, von null oder “auf der grünen Wiese” zu
erschaffen, zumal die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen
Institutionen durchaus universell sind und mit moderneren Inhalten, die
der jetzigen Lage entsprechen, angefüllt werden können.
Das betrifft auch die Vervollkommnung der Arbeit
der UNO, deren zentrale Rolle unersetzlich bleibt, und die OSZE, welche
im Verlauf von 40 Jahren unter Beweis gestellt hat, dass man eines
solchen Mechanismus zur Gewährleistung von Sicherheit und Zusammenarbeit
im euroatlantischen Raum bedarf. Anzumerken ist, dass auch jetzt bei
der Beilegung der Krise in der Südost-Ukraine die OSZE eine sehr
positive Rolle spielt.
Vor dem Hintergrund der Veränderungen im
internationalen Bereich, dem Anwachsen von nicht zu steuernden, ganz
verschiedenartigen Bedrohungen benötigen wir einen globalen Konsens der
verantwortlichen Mächte. Die Rede ist nicht von irgendwelchen lokalen
Abmachungen, auch nicht von einem Aufteilen von Interessenssphären im
Sinne der klassischen Diplomatie, und auch nicht von irgend wessen
Dominanz. Ich bin der Meinung, dass es eine neue Version gegenseitiger
Abhängigkeiten bedarf. Davor darf man sich nicht fürchten. Im Gegenteil,
das ist ein gutes Instrument, um Positionen aufeinander abzustimmen.
Das ist umso mehr aktuell, wenn man die Konsolidierung und das Wachstum
einzelner Regionen des Planeten berücksichtigt, denn das verlangt nach
einer institutionellen Gestaltung solcher Pole, nach der Schaffung von
kräftigen regionalen Organisationen und nach einer Ausarbeitung von
Regeln für ihre Zusammenarbeit. Eine Kooperation solcher Zentren würde
einiges zur Stabilität der weltweiten Sicherheit, Politik und Wirtschaft
beitragen. Aber um einen solchen Dialog in die Wege zu bringen, muss
man davon ausgehen, dass alle regionalen Zentren und die sich um sie
heranbildenden Integrationsprojekte die gleichen Rechte auf Entwicklung
haben, auf dass sie einander ergänzen und niemand dazu in der Lage wäre,
sie künstlich miteinander in Kollision und in Widerspruch zu bringen.
Denn die Folge einer solchen destruktiven Linie wäre eine Zerstörung der
Verbindungen unter den Staaten, und die Staaten selbst wären schweren
Prüfungen ausgeliefert, bis hin zu ihrer vollständigen Zerstörung.
Ich möchte noch an die Ereignisse des vergangenen
Jahres erinnern. Damals haben wir unseren Partnern – sowohl den
amerikanischen, wie auch den europäischen – gesagt, dass übereilte, im
Hintergrund getroffene Entscheidungen über, sagen wir, die
EU-Assoziation der Ukraine, ernsthafte Risiken bergen, und dabei haben
wir noch nicht einmal etwas über die Politik gesagt, wir sprachen nur
von der Wirtschaft, von ernsthaften wirtschaftlichen Risiken, und zwar,
dass solche eigenmächtigen Schritte die Interessen vieler dritter
Länder, darunter auch Russland als wichtigstem Handelspartner der
Ukraine, berühren, und dass eine breit angelegte Erörterung der
entsprechenden Fragen vonnöten sei. In diesem Zusammenhang möchte ich
daran erinnern, dass die Verhandlungen über einen Beitritt Russlands zur
WTO ganze 19 Jahre gedauert haben. Das war eine sehr schwere Arbeit,
aber am Ende stand ein gewisser Konsens.
Warum erwähne ich das? Weil durch die Umsetzung
des Assoziationsprojekts mit der Ukraine uns unsere Partner mit ihren
Produkten und Dienstleistungen gewissermaßen durch die Hintertür ins
Haus fallen, aber das war nicht abgemacht, und uns hat niemand nach
unserer Meinung dazu gefragt. Die Gespräche zu allen Themen, die mit der
EU-Assoziation der Ukraine zusammenhängen, haben wir beharrlich, aber –
das möchte ich unterstreichen – vollkommen zivilisiert geführt, wir
haben Motive und Argumente eingebracht und mögliche Probleme aufgezeigt.
Aber niemand wollte uns hören oder mit uns sprechen, uns wurde einfach
nur gesagt: das ist nicht eure Sache, das war’s, Ende der Diskussion.
Anstelle eines schwierigen, aber wie gesagt zivilisierten Dialogs wurde
die Angelegenheit bis dahin gesteigert, dass es zu einem Staatsstreich
kam, das Land ins Chaos gestürzt, die Wirtschaft und der soziale Bereich
zerrüttet wurden und ein Bürgerkrieg mit unzähligen Opfern begann.
Wozu? Wenn ich meine Kollegen frage: wozu? – dann
gibt es keine Antwort, niemand hat eine Antwort darauf. So ist das.
Alle zeigen Ratlosigkeit: das ist halt so passiert. Man hätte nicht zu
solchen Handlungen ermuntern dürfen, dann wäre das auch nicht passiert.
Denn, ich habe ja bereits davon gesprochen, der vormalige Präsident
Janukowitsch hatte doch schon alles unterschrieben und war mit allem
einverstanden. Wozu war es nötig, das noch zu tun? Was war der Sinn? Was
ist das denn, eine zivilisierte Art, Antworten zu finden? Offenbar
halten die, welche immer neue farbige Revolutionen produzieren, sich für
geniale Künstler und können sich schon nicht mehr bremsen.
Ich bin davon überzeugt, dass die Arbeit von
integralen Vereinigungen und die Zusammenarbeit von regionalen
Strukturen auf einem transparenten, verständlichen Grund fußen muss, und
als gutes Beispiel für eine solche Offenheit dient der
Heranbildungsprozess der Eurasischen Wirtschaftsunion. Die
Teilnehmerstaaten dieses Projekts haben ihre Partner vorab über ihre
Pläne und die Parameter unserer Union informiert, über die Prinzipien
ihrer Tätigkeit, die in vollkommenem Einklang mit den Prinzipien der
Welthandelsorganisation stehen. Ich füge hinzu, dass wir es ebenso
begrüßen würden, wenn es zu einem gegenständlichen Dialog zwischen der
Eurasischen und der Europäischen Union käme. Darin haben wir übrigens
bislang auch nur Ablehnung erfahren, und auch hier ist es
unverständlich, aus welchem Grund – was gibt es denn Schlimmes daran?
Und selbstverständlich würden wir angesichts einer solchen gemeinsamen
Arbeit meinen – und das sagte ich bereits mehrfach und hörte positive
Resonanz vieler unserer westlicher Partner, auf jeden Fall der
europäischen -, dass man sich über die Notwendigkeit der Heranbildung
einer einheitlichen Raumes der wirtschaftlichen und humanitären
Zusammenarbeit vom Atlantik bis zum Stillen Ozean unterhält.
Verehrte Kollegen! Russland hat seine Wahl
getroffen, unsere Prioritäten bestehen in einer weiteren Vervollkommnung
der demokratischen Institutionen und einer offenen Wirtschaft, in einer
beschleunigten inneren Entwicklung unter Berücksichtigung aller
positiven derzeitigen Tendenzen der Welt und in der Konsolidierung der
Gesellschaft auf Grundlage traditioneller Werte und des Patriotismus.
Auf unserer Tagesordnung steht die Integration, diese Tagesordnung ist
positiv und friedlich, wir arbeiten aktiv mit unseren Kollegen in der
Eurasischen Wirtschaftsunion, der Shanghaier Organisation für
Zusammenarbeit, der BRICS und anderen Partnern zusammen. Diese
Tagesordnung zielt auf die Entwicklung von Beziehungen der Staaten
untereinander, und nicht auf deren Absonderung. Wir haben es nicht vor,
irgendwelche Blöcke zusammenzuzimmern oder uns in einen Schlagabtausch
ziehen zu lassen. Jeder Grundlage entbehren auch Behauptungen, Russland
sei bestrebt, irgendein Imperium wieder zu errichten oder verletze die
Souveränität seiner Nachbarstaaten. Russland verlangt nicht nach
irgendeinem besonderen, außerordentlichen Platz in der Welt, das möchte
ich betonen. Indem wir die Interessen der anderen achten, möchten wir
einfach, dass man auch unsere Interessen berücksichtigt und unsere
Position achtet.
Wir verstehen sehr gut, dass die Welt in ein
Zeitalter der Veränderungen und tiefgreifender Transformationen
eingetreten ist, in dem alle ein besonderes Maß an Vorsicht und
Fähigkeit brauchen, unüberlegte Schritte zu vermeiden. In den Jahren
nach dem Kalten Krieg haben die Teilnehmer an der Weltpolitik diese
Qualitäten in gewissem Maße eingebüßt. Jetzt gilt es, sich wieder an sie
zu erinnern. Im andern Fall werden sich die Hoffnungen auf friedliche,
stabile Entwicklung als gefährliche Illusion erweisen, und die heutigen
Erschütterungen wären dann die Vorboten eines Zusammenbruchs der
Weltordnung.
Natürlich ist, und ich sagte das bereits, der
Aufbau eines stabileren Systems der Weltordnung eine komplizierte
Aufgabe. Die Rede ist von langwieriger und ihrem Wesen nach schwerer
Arbeit. Wir haben es geschafft, Regeln für die Zusammenarbeit nach dem
Zweiten Weltkrieg zu erarbeiten, wir konnten uns auch in den 1970er
Jahren in Helsinki einigen. Unsere gemeinsame Verpflichtung besteht nun
darin, dass wir diese fundamentale Aufgabe auch in dieser neuen Etappe
der Entwicklung meistern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
QUELLEN:
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